Iwan Patanen

Über politische Verbrechen im landwirtschaftlichen Bezirk von Kusemkino:
die "Endlösung" vor Hitler

Den großen politischen Repressionen gegenüber den Inkeris in unserem Bezirk ging die Kollektivierung anfangs der 30er Jahre voran. Obgleich die Leute gezwungen wurden, sich zu landwirtschaftlichen Kolchosen zu vereinigen, versuchten sie dort unter neuen Bedingungen, sich ein besseres Leben zu schaffen, weil sie an harte Feldarbeit gewöhnt waren. Die Arretierungen begannen, ihre Hoffnung, ihre Pläne endeten aus Furcht, in die Ränge von "kulaks" [das Wort kulak "Faust" bedeutet im sowjetischen Jargon: "ein reicher Bauern-Ausbeuter bzw. -Blutsauger"], "Spionen" oder ähnlichen "Volksfeinden ", permanent erfunden vom N.K.V.D., eingeordnet zu werden. Ich war zu jener Zeit ein Schuljunge und erinnere mich, dass bis 1934 eine bemerkenswert ruhige Periode vorherrschte, falls man nicht erwähnt, dass einige Männer als Spione arretiert wurden.

So wurde 1933 Matthias Venno aus dem Dorf Groß Kusemkino wegen frisierter (betrügerischer) Denunziation von Ferdinand Simson arretiert. Simson war ein Kollaborateur der Leute vom Grenzschutz und deren Agent, welcher später, nach 1941, ein Strafvollstrecker von Nazikommandos wurde. Wegen dieser Denunziation verbrachte M. Venno 12 Jahre im Gefängnis und gelangte erst 1957, nach Stalins Tod, nach Hause zurück. M. Venno schien im gesamten Bezirk der einzige zu sein, der Stalins Konzentrationslager überlebte. Er wäre 1941 erschossen worden, im Fall, dass die Deutschen nicht von Moskau vertrieben worden wären. Er erwartete seine Erschießung zusammen mit einer Gruppe seiner Stationskameraden, aber der Auftrag von Moskau kam nicht. Dennoch war die Situation an der Front nicht der einzige Grund von Massenerschießungen. Weitere Gründe konnten auch die Feiern der Jahrestage der Revolution oder die Geburtstage Stalins und Lenins sein.

Die besagten Arreste vor 1934 waren nur eine "Kleiderprobe" von Massenrepressionen, die mit dem Mord Kirows am 1. Dezember 1934 begannen. Alle Leute, die an jenem Tag Leningrad besucht hatten, wurden als Komplizen des Mörders festgenommen. Die besten Kolchosenbauern, die leistungsfähigsten Männer in den Dörfern wurden unter der Anschuldigung der Spionage, Sabotage und konterrevolutionären Aktivität eingesperrt. Sie konnten nicht wissen, dass ihr Schicksal durch den Auftrag von Moskau prädestiniert war, welcher konkrete Zahlen von Opfern nannte. Diese Zahlen waren: 4000, die erschossen werden sollten, 8000, die in Konzentrationslager gesteckt werden sollten, (vgl. E. Lunin, An den Metzgern klebt kein Blut (in Russisch). Sankt-Peterburg 1996, 12).
Die Kolchoshöfe blieben ohne Arbeiter. Im April 1935 kam ein Auftrag, dass alle Verwandten der arretierten Personen für den Transport zu einem neuen Wohnort vorbereitet werden sollten. Frauen, alte Leute und Kinder mussten ihr Vieh loswerden und ihre Sachen innerhalb von 2 Tage packen. Große Karren für den Transport wurden von jeder Kolchose zur Verfügung gestellt. Jede Karre wurde bewacht. Es gab 8 Familien, welche aus unserem Dorf Neu-Kusemkino deportiert wurden. Sie waren arm und hatten keinerlei wertvolles Eigentum. Ein 80-jähriger Mann begriff, dass er nie zurückkommen würde. Er ging zu einem nahe gelegenen Wald, um seinem Vaterland auf Wiedersehn zu sagen. N.K.V.D.-Männer sahen dieses als Versuch an zu flüchten und ergriffen ihn eiligst. Sie fanden ihn auf einem Hügel liegen und weinen.

Nach dem Beladen der Karren bewegte sich ihre Reihe auf den Bahnhof von Preobraschenka zu. Das ganze Dorf sah diesen Menschenzug. Die Leute schrieen und beteten. Niemand wusste, wohin diese "Kulaks" transportiert wurden. Die Wachen trieben die Dorfbewohner, die sich anschlossen, weg. Am Bahnhof wartete schon ein Güterzug. Die Oberhäupter der Familien, welche früher eingesperrt worden waren, aber nicht zum Tod verurteilt, waren auch dorthin gebracht worden aus dem "Kresty"-Gefängnis. Nach der Abfahrt des Zugs wurde niemand über seinen Bestimmungsort informiert. Die Verwandten erfuhren dieses erst nach einem Monat, aus den ersten empfangenen Briefen. Es schien, dass die Deportierten in Tadjikistan waren. Viele Ingrier starben unterwegs, nicht weniger kamen wegen der ungewöhnlichen asiatischen Hitze um. Sie wurden alle verurteilt. Aber gerade dieses war das Ziel von Moskau.
Niemand wusste von dem Auftrag Nr. 00485 Nikolai Eschows, dem Spitzel des Ministeriums für Innere Angelegenheiten, dass alle Deutschen, Polen, Finnen, Esten und andere Menschen des Baltikums liquidiert werden sollten (ebenda, 19). Die Inkeris, die Urbewohner in ihrem eigenen Land waren, wurden normalerweise als Finnen behandelt.
 
In Tadshikistan wurden die Deportierten streng bewacht. Die Grenzen ihres Gebietes zu überqueren, bedeutete den Tod.
Einer Frau aus Kirjamo mit Namen I. Stüf, gelang es zu fliehen und zurück in ihr Dorf zu kehren. Sie wurde ergriffen und erschossen. 

Die Ausrottung unseres Volks begann unter dem Vorwand der Liquidierung von "Kulaks" und anderen "Volksfeinden". Arretierungen fanden normalerweise zur Zeit der Aussaat statt, wenn sich alle Leute für die Feldarbeit sammelten, und es daher einfach war, sie zu ergreifen. Die Zahl von Schülern in meiner Schule wurde augenscheinlich geringer. Der Direktor ordnete an, Klassen zusammenzulegen. Wenn wir zur Schule gingen, wurden wir durch den düsteren Anblick leerer Häuser erschreckt, deren Türen im Wind schlugen. Dieses dauerte nicht lange. Bald wurden neue Menschen dort angesiedelt. Sie waren die ehemaligen Bewohner des Dorfes Mertvitsa an der Grenze zu Estland. Das Dorf wurde in einer Nacht liquidiert. Einige Häuser wurden in andere Orte versetzt, aber die Mehrzahl demolierte man, um davon Brennholz zu machen.
Die Behörden erklärten, dass aus diesem Dorf estische Spione in das sowjetische Territorium eingedrungen seien. Das kleine Estland schien eine schreckliche Gefahr für die UdSSR gewesen zu sein. In Wirklichkeit traf der sowjetische Staat Vorbereitungen für die spätere Annexion zuerst Estlands und anderer baltischer Länder, dann – des ganzen Europas. Die Rote Armee sollte den Kommunismus weltweit einführen. Dieses Delirium war der reale Grund der menschenverachtenden Aufträge für den N.K.V.D. und zielte darauf ab, das künftige Hinterland von "nicht wünschenswerten Elementen" zu säubern. Der spätere Krieg wie auch die Nachkriegsgeschichte zeigten, dass nichts von diesen geisteskranken Zielen erreicht wurde, stattdessen waren Millionen ermordeter Menschen und eine ruinierte Wirtschaft die Folge.
Das Jahr 1936 war ruhig, keine Massenrepressionen fanden statt. Die Festnahmen begannen im Frühjahr 1937, sie hielten den ganzen Sommer über an, aber im Herbst geschahen sie massenweise. Es verging kein einziger Tag im September-Oktober, ohne dass die Schüler in Tränen zur Schule gekommen wären. Die Leute wurden ergriffen ohne Unterschiede, d.h. gewöhnliche Landwirte, Angestellte, Kolchosvorsteher. Die Menschen begannen Briefe an Krupskaja [Lenins Frau - Herausgeber ], Kalinin [formaler "Präsident" der UdSSR, den sogenannten "Älteren des Volkes" - Herausgeber] und andere Bolschewikenführer zu schreiben. Nichts half. Dieser ganze Terror wurde mit der Unterschrift von Eschhow, dem Chef des N.K.V.D, durchgeführt.
Schließlich wurde Eschow selbst verhaftet und zum "Volksfeind" erklärt. An seiner Stelle erschien Beria als neuer "Beauftragter (Narkom) der Leute". Eine Hoffnung begann zu schimmern. Kinder nahmen das Portrait von Eschow, das den Dorfverein dekoriert hatte, und kickten es auf der Straße wie einen Fußball. Leider wurde niemand befreit sondern die Festnahmen gingen weiter. 

Solch war der Volksmord der Inkeris, die von Kreml-"Strategen" verurteilt wurden, als Nation der Vernichtung anheim zu fallen. Ihre Reste mussten im Auftrag zerstreut werden, sogar ihr Name würde nicht mehr erwähnt werden und später, nach vielen Jahren, konnten "akademische" Theorien über ihre "Assimilation" mit der ethnisch-russischen Nation geschaffen werden [vgl. mehr als 150 Jahre des Volksmords der Tschetschenen auf ihrem eigenen Territorium, der in unseren "demokratischen" Tagen zu seinem schrecklichen Ende kommt - Herausgeber].

Die Menschen unserer Region wurden auch im folgenden Jahr 1939 ergriffen. Ich kenne nur 2 Personen, die zurückkamen. Die erste war Wassili Eustafjew aus dem Dorf Ostrov, geboren 1886. Er wurde 1938 inhaftiert und verbrachte 2 Jahre und 2 Monate im Gefängnis von "Kresty". Er kam nach Hause, unbarmherzig geschlagen, nach schrecklichen Folterungen. Er hielt aus, und unterzeichnete die absurden Anklagen nicht. Er hat ein Entlassungspapier. Die andere war Wassili Wassiliew vom Dorf Kurowitzy (wirklicher Name Kukkusi), welcher auch 2 Jahre und 2 Monate in "Kresty" verbrachte.

Die Verluste der Inkeris, die von diesen Verbrechen herrührten, können zahlenmäßig erfasst werden, indem man die Resultate der Zählung von 1926 und von 1939 vergleicht. 1926 gab es 17000 Inkeris, aber 1939 nur 7700 (vgl. Finno-Ugrische Regionen von Russland in Ziffern (auf Russisch). Staatlich-statistisches Komitee der Republik Komi. Syktyvkar 1996, 25). Der Vergleich zeigt, dass die Zahl der Inkeris auf 9300 Personen zusammenschmolz, d.h. mehr als zweimal innerhalb 13 Jahre. Dieses war eine großartige Arbeit des Leningrader N.K.V.Ds.

Ende des 30er Jahre begann die Massenausrottung der Juden. Die schrecklichen Verbrechen der Nazis sind der ganzen Welt bekannt, ihre Hauptverbrecher wurden in Nürnberg gehängt. Eine Menge Bücher werden über die Leiden der Juden geschrieben, eine Menge Filme gedreht. Konzentrationslager, in denen die Juden ermordet wurden, wurden in Museen umgewandelt. Dennoch waren die Nazis nur Schüler der Bolschewiken, die das System der Massenvernichtung früher erfunden hatten. Als Hitler erklärte, er habe "die Endlösung der Judenfrage" gefunden, wiederholte er nur die Bolschewiken, welche "die ingrische Frage" bereits anfangs der 30er "gelöst hatten" unter der "Tarnkappe" der Kollektivierung.

13 % aller Ingrier [Inkeris, Woten, Finnen von Ingermanland], d.h. 18000, wurden zu Konzentrationslagern oder zur Knochenarbeit auf die Kola-Halbinsel, nach Mittelasien oder Sibirien transportiert, wo die meisten von ihnen umkamen. [Natürlich entsprechen diese Ziffern nicht denen der Juden, weil die Juden viel zahlreicher als die Inkeris waren. Dennoch begann die Gesamtausrottung der Juden nur nach der Wannsee-Konferenz vom 20. Januar 1942. Vor diesem Datum waren die Verluste der Juden und der Inkeris mindestens vergleichbar - Herausgeber]. Auf diese Art lösten zwei totalitäre Staaten ihre "nationalen Fragen" [Russland, der offizielle Nachfolger der UdSSR, setzt diese "Lösung" in Itschkeria bis heute fort - Herausgeber].

Die Ausrottung der Ingrier hörte auf mit dem Angriff der UdSSR gegen Finnland 1939-1940. [Zuerst wurde Finland vorgeschlagen, den "Pakt der gegenseitigen Unterstützung" zu unterzeichnen, ähnlich dem, was man den baltischen Staaten vorgeschlagen hatte, als Vorspiel zu ihrer Annexion; gleichzeitig wurden den Finnen ein unverschämter Austausch der Territorien vorgeschlagen - Herausgeber]. Die Finnen, denen bekannt war, was die Sowjets mit ihren Brüdern in Ingermanland getan hatten, widerstanden wütend. Die ganze Welt verurteilte diesen Angriff, die UdSSR wurde aus der Liga der Nationen herausgeworfen. Es waren alleine die Engländer, die wagten, Stalin zu drohen, dass, falls er die Offensive nicht stoppte, sie die Ölwerke Bakus von ihren irakischen Basen aus Irak bombardieren würden. Die Engländer kämpften zu dieser Zeit heroisch gegen Deutschland und Italien. Stalin zog den Frieden mit Finnland vor, während sein "Befreiungskrieg" in Europa vorbereitet wurde. [Tatsächlich waren unerwartet harte Verluste der Bolschewiken in Finnland auch mit ein Grund - Herausgeber]. So kam es zu einem kurzen Frieden, aber das ganze finnische Karelien wurde von der UdSSR besetzt. Andererseits war Hitler von den Plänen seines Partners informiert, dass die Division von Polen Deutschland von hinten angreifen nehmen würde, sobald dieses La Manche zwingen würde. Daher griff er als erster an. Auf diese Weise begann der Krieg auf dem Territorium der UdSSR im Juni 1941.
Nachdem Ingermanland Zone der militärischen Aktivitäten geworden war, zerstreute der Krieg die Inkeris in viele Länder. Einige Menschen wurden evakuiert, einige kämpften an der Front, einige gingen ins Ausland.

Was war das Schicksal der Inkeris in ihrer Heimat nach dem Krieg? Die Familien kehrten von den Orten der Evakuierung zurück, aber sie wurden von der Miliz auf dem Bahnhof von Ust-Luga erwartet. Dieses war der Punkt der Filtration. Nach der Überprüfung der persönlichen Dokumente wurden die Familien, in denen man "Feinde des Volks" gefunden hatte, abgesondert und in die inneren Regionen von Russland geschickt. Weiterhin wurde ein Vermerk bei denen, die an der Front gekämpft hatten, notwendig. Nicht alle militärischen Dienstleute waren zu jener Zeit demobilisiert worden, daher brauchte man einen Vermerk von ihrem militärischen Dienstort, damit einer Familie erlaubt werden konnte, nachhause zu gehen. Wenn eine Familie einen Verwandten hatte, der während des Krieges in deutscher Gefangenschaft gewesen war, hatten alle übrigen Mitglieder der Familie keine Hoffnung, ihr Zuhause wiederzusehen. Es war sehr schwierig für die, welche während des Krieges nach Finnland oder Deutschland verbannt worden waren, nach Hause zurückzukehren. So sah die Situation Ende 1945 aus, aber sie dauerte auch in den Folgejahren an.
Daher sammelte sich nach dem Krieg nur eine Minorität zu Hause wieder. Wollen wir wieder die Resultate der Zählung vergleichen. 1959 gab es nur 1100 Inkeris in Ingermanland. Ihre Zahl war, im Vergleich zu 1939, um 6600 geschrumpft. 1926 waren die Inkeris auf dem 13. Platz unter anderen finno-ugrischen Nationen von Russland, die sich auf 17000 beliefen. Heute sind wir auf dem 21. Platz, der nur 800 Personen zählt, zerstreut innerhalb unseres eigenen historischen Lebensraums.
Dennoch könnte diese Zahl größer sein wenn es nicht neue Verfolgungen nach dem Krieg gegeben hätte.

Ein Sowchos "Der fortgeschrittene Arbeiter von Ropscha" war nach dem Krieg eingerichtet worden. Er versah die Bewohner mit existenziell notwendigen Mitteln. Die ruinierte Landwirtschaft wurde wieder in Gang gesetzt. So ein Normalleben war für Stalin nicht wünschenswert. Am 9. Mai 1947 kam der Leiter der Passabteilung der Ruchji Miliz-Sektion in Kusemkino an. Aktivisten mit roten Bändern auf ihren Ärmeln wurden ausgeschickt, um vorm Dorfsowjet Leute zusammenzutrommeln. Die Leute zeigten ihre Pässe vor, aber ein Milizmann strich den Stempel der Registrierung im Pass durch und erklärte seinem Inhaber, dass er das Verwaltungsterritorium des Sowjets innerhalb von 24 Stunden verlassen müsse. Als man fragte, "wo kann ich dann leben?", lautete die Antwort: "wo Sie wünschen, aber nicht im Grenzgebiet". Es wurde die Erlaubnis erteilt, in der Gegend vom Kurowitzy-Sowjet zu leben, weil dort bereits kein Grenzgebiet mehr gewesen war. Ein Kriegsteilnehmer hatte das Recht, in seinem Haus zu bleiben, aber seine Familie musste ausziehen. Herangezogen wurden sogar die Familien der gefallenen militärischen Dienstleute. Um weiterhin in ihrem Haus wohnen zu können, mussten solche Familien eine Bescheinigung vorweisen. Die Familien von Maria Iwanowa aus Groß-Kusemkino, Elsa Michailowa aus Struppovo, Elsa Lobsanowa aus Ropscha und von vielen anderen, welche die Brotverdiener, ihre Ehemänner, im Krieg verloren hatten, wurden verbannt. Dasselbe widerfuhr E.Romanowa, E.Fjodorowa, E.Minaewa, die ihre Söhne an der Front verloren hatten. Eine Menge ähnlicher Beispiele könnte aufgeführt werden.
Die Leute mit der durchgestrichenen Registrierung in ihren Pässen verließen ihr Haus, darunter alte Personen und Kinder. Viele von ihnen starben an Hunger und Kälte unterwegs oder an den Bahnhöfen. Maria Bystrowa, achtzig Jahre alt, von Neu-Kusemkino, starb ab der Pantonbrücke über den Fluss Lauga (Luga) nahe ihrem Dorf, als sie gezwungen wurde, es zu verlassen. Ein Stallknecht Muchin fand sie zufällig und begrub sie am Rand eines Feldes.
Die gewaltsame Verbannung fand jedes Frühjahr statt, wie es vor dem Krieg gewesen war. In unserem Bezirk wurde diese Frühjahrs-Verbannung 1951 gestoppt, als es dem Kingisepp Regions-Ausschuss der Bolschewikenpartei gelang, den letzten Versuch zu verhindern. Möglicherweise war der Grund die Verantwortlichkeit der Führer hinsichtlich der Nicht-Erfüllung des Wirtschaftsplans. Diese Verantwortlichkeit bezog sich noch auf die Richtlinien der Kriegzeit, aber die Zahl der landwirtschaftlichen Arbeiter war unzureichend.
Die verbannten Leute wurden im Dorf Priretschje des Kurowitzy- Sowjets registriert. Meine Mutter und ich wohnten in Neu-Kusemkino, nachdem wir von Finnland zurückgekommen waren. Zwei meiner älteren Brüder waren an der Front. Obgleich es nur 1 km von unserem Haus nach Priretschje war, verbannte uns von dort die Miliz in jeder Beziehung.
In den leeren Häusern von Neu-Kusemkino ließen sich neue Leute aus Groß-Kusemkino, Struppovo, Ropscha, Ust-Luga nieder. Es wohnten zwei oder drei Familien gleichzeitig in einem Haus. Sie hatten ein Dach und dieses war gut. Das Absurde war, dass die örtlichen Bewohner, welche die wirklichen Inhaber dieser Häuser waren, aber außerhalb des Grenzgebietes verbannt worden waren, in der Nähe lebten, ohne das Recht zurückzukommen.
Innerhalb von Priretschje wuchs sehr schnell eine Siedlung Semlerob nach dem 9. Mai 1947. Sogar die Keller eines ehemaligen Hauswirts wurden gemietet. Die Mauern eines Viehstalls, ausgebrannt während des Krieges, wurden wieder hergestellt, Heuspeicher und sogar Heuschober wurden bewohnbar gemacht. Man begann im Sommer Häuser zu bauen, aber im Winter 1948 hatten alle Einwohner ein Haus, obgleich mindestens 2 Familien in einem Haus gleichzeitig wohnten. Wenn auch die Siedlung wuchs und zum Zentrum von Priretschje wurde, wurden ihre Bewohner als Deportierte betrachtet, d.h. als Bürger zweiter Art. Sogar ein Ausdruck war im Umlauf: "die Deportierten von Semlerob".

Die Zeit verging. Irgendwo ferne in Moskau näherte sich das Ende von Stalin. Wir wussten nichts davon. 1952 stellte ich einen Antrag an die Regierung, um die Erlaubnis zu erhalten, nach Hause zurückzukehren. Unerwartet kam die positive Antwort. Dann folgten andere Deportierte unserem Beispiel. Nachdem Stalin tot war, willigten die Behörden auf alle unsere Bittgesuche ein. Unsere Landsleute aus anderen Regionen begannen, nach 1956 zurückzukehren. Die Familien der "Kulaks", die nach Tadschikistan und Kasachstan verbannt worden waren, wurden freigelassen.
[Daher schienen alle ideologischen Aktionen der Bolschewiken, die Jahrzehnte lang stattgefunden hatten, ethnische Säuberungen in Ingermanland sowie in anderen nicht-russischen ethnischen Territorien zu sein - Herausgeber].

Der Schluss kann gezogen werden, dass die Reihenfolge der Massenrepressionen im landwirtschaftlichen Bezirk von Kusemkino die folgende war:
1930-1937 – unter der Vorspiegelung der Liquidierung der "kulaks",
1937-1938 – unter der Vorspiegelung des Kampfes gegen die subversiven Tätigkeiten, Spionage und Sabotage,
1945-1951 – unter der Vorspiegelung, im Grenzgebiet Ordnung herzustellen.
Das reale Ziel aller dieser Aktionen war die Ausrottung der Urbewohner, der Inkeris, Woten, örtlichen Esten und Finnen. In den Jahren des Terrors erlitten die Ingrier die größten Verluste im Vergleich zu allen anderen Nationalitäten der UdSSR. Der Anteil der Personen, die erschossen worden waren, überschreitet 15 %! Keine andere Nationalität der UdSSR kann sich eines solchen Prozentsatzes "rühmen". 20000 Ingrier wurden erschossen (vgl. Gildi L.A. Massenerschießungen, Zwangsverschickungen, Leiden (in Russisch). Inkerin Liitto. Sankt-Peterburg 1996).

Der Hauptort der Massenbeerdigungen der Erschossenen war die Heide von Lewaschowo nahe Leningrad. Seit 1990 begann die Zeitung "Wetschernij Leningrad", Die Martyrologie aller dort Begrabenen zu veröffentlichen. Hier sind einige unserer Landsleute aus dieser Liste aufgeführt:

Wassili SIDOROW, geb. 1890, aus Groß-Kusemkino, Nichtparteimitglied, ein Inkeri. Verhaftet am 6. August 1937, durch ein spezielles Dreierkommando des U.N.K.W.D. aus der Leningrader Region zum Tode verurteilt wegen konterrevolutionärer Aktivitäten mit dem Ziel der Subversion des sowjetischen Systems (gemäß Artikel 58-10 des Strafcodes der RFSR [Russische Föderative Sozialistische Republik]) am 28. August 1937, hingerichtet am 31. August 1937 mittels Todesschuss;

M. JAKONEN, geb. 1903, aus Groß-Kusemkino, ein Inkeri;

Ivan ANDREEW, geb. 1900, aus Groß-Kusemkino, ein Russe, Mitglied der bolschewistischen Partei seit 1925, beschäftigt als Geschäftsmanager in Logi. Festgenommen am 17. Oktober 1937, Todesschuss am 18. November 1937;

Alexis PUKKARI, geb. 1893, aus Struppovo. Festgenommen am 23. Februar 1938, Todesschuss am 5. Mai 1938;

Alexander AHONEN, geb. 1883, aus Struppovo.

Festgenommen am 10. Juni 1938, Todesschuss am 10. Oktober 1938.

Das waren natürlich nicht alle Opfer, deren Weg in der Levaschowo Heide endete. Ein großes Denkmal für die Opfer der Repressionen wurde am 19. Juni 1995 in Groß-Kusemkino enthüllt. 34 Namen fanden sich darauf, aber 10 Namen wurden später hinzugefügt. Verwandte und Landsleute versammelten sich während der Einweihung, viele von ihnen weinten trotz der Jahrzehnte, die seit den Tragödien verflossen waren.

Hier sind ihre Namen:

I.T. AHONEN

M.S. AHONEN

I.P. DEMIDOW

A.M. DANILOW

V.F. EUSTAFJEW

I.N. EUSTAFJEW

K.G. JEMELJANOW

A.F. IVANOW

A.F. ISAKOW

L.Y. KAPRALOW

I.N. KIRILLOW

A.K. KOORA

D.H. LARIONOW

A.E. LARIONOW

M.S. LUKIN

V.T. LUTS

P.Z. NIKOLAEW

A.E. OLAVI

A.I. PUKKARI

S.M. PUKKARI

A.D. SARNE

A.I. SIPPO

I.A. STÜF

S.I. AHONEN

E.S. AHONEN

M.S. AHONEN

A.S. AHONEN

P.I. AHONEN

M.P. AHONEN

A.P. AHONEN

V.A. AHONEN

I.I. ANDREEW

M.A. WASSILIEW

M.M. ROSENBERG

S.I. KALININ

M.I. PETROW

F.A. STEPANOW

D.E. PYCHTIN

S.P. FJODOROW

P.S. FJODOROW

A.B. FILATOW

P.I. SCHEPELEW

I.O. JAKONEN

Lasst die in unserem Gedächtnis bleiben, welche diesem Leben vorzeitig entrissen worden sind.