EINZELNE
SCHICKSALE
1 Ich bin ALMA VEHVILÄINEN, geb. 1922. In unserer Region lebten, von Sestroretzk [schwedisch: Systeback, siehe Landkarte] eine Menge Finnen. Dennoch wurde diese Region schnell russifiziert wegen der Nähe von Leningrad und der Fabrik von Voskov. Ich erinnere mich meiner Schultage, als die Ortsansässigen finnisch sprachen, das war Ende der 30er, nicht nur die Finnen, sondern auch lokale Russen. Unser Dorf wurde Gorskaja genannt (der wirkliche Name ist Koronenä). In Tarchovka, in Alexandrovka, in Gorskaja, außerdem auf dem Fuchs-Kap (Lisij Nos) lebten Finnen bis nach Lachta, aber die russische Sprache begann in den 30ern vorzuherrschen. There was one church in Sestroretzk more. My schoolmate lived in the outskirts of Sestroretzk before the war, she attended this church in her childhood. If one goes from the railway-station to cemetery, there is a multistory house on the right side. It stands on the place of the church. This wooden church was on a hill, a Finnish cemetery was behind it. Some people say having seen the lights of Elma there. Diese Holzkirche stand auf einem Hügel, ein finnischer Friedhof lag dahinter. Einige Leute sagen, sie hätten dort die Lichter von Elma gesehen. Die Straße, die heute Proletarier-Straße heißt, nannte sich Chuchon [ein russischer Name für die Urbewohner des Baltikum]. Wir, die Vorkriegsgeneration, wurden nicht in Finnisch unterrichtet und wurden angeregt, uns wegen unserer finnischen Nationalität beschämt zu fühlen. Die Unterdrückung begann in den 30ern. Meine ältere Schwester, die nach dem Schulabschluss eine Beschäftigung gefunden hatte, wurde mit einem Vermerk entlassen, der inoffiziell "Volksfeind" bedeutete. Bald wurde mein Bruder, der gerade eine professionelle Schule an der Fabrik von Woskow beendet hatte, ebenfalls entlassen. Der Grund war derselbe: seine Nationalität. Mein Bruder und meine Schwester waren gute Schüler und gewissenhafte Angestellte, wie die meisten Finnen. Zusammen mit der Entlassung verloren sie automatisch das Recht zu den Lebensmittelkarten. Wir, die fünf Personen, wurden vom Vater abhängig, der als einziger beschäftigt war, und zwar als Feuerwache eines Clubs der "Vulkan"-Fabrik in Novaja Derewnja [wirklicher Name: Mantere]. Sein Gehalt betrug 92 Rubel im Monat. Ich, meine jüngere Schwester und unsere Mutter konnten keine Lebensmittelkarten beantragen, weil wir als landwirtschaftliche Bewohner betrachtet wurden. So hungerten wir eine lange Zeit, bis ein schlauer Mann meiner Schwester riet, diesen Vermerk nicht zu zeigen und ihn wegzuwerfen. Danach fand sie einen Job, ebenso wie mein Bruder.
Die Verhaftungen begannen im Herbst 1937. Meine beiden Onkel wurden festgenommen, d.h. Peter Vehvilainen und Nilo Teterew (Pukkonen). Onkel Peter wurde bald im Gefängnis von "Kresty" erschossen, seine Familie jedoch wurde nach Osstaschkow deportiert. Nach ihrer Freisprechung zu Zeiten Chruschtschows, gestattete man alleine seiner Frau, in ihr Vaterland zurückzukehren, während die Kinder noch kein Recht erhielten, sich der Umgebung Leningrads zu nähern. Was Onkel Nilo betrifft, so verbrachte er einige Jahre in Konzentrationslagern und starb dort. Die Familie geriet in den Blockade-Ring während des Krieges und starb. Einige Leute starben unterwegs zum Ort der Zwangsverschickung. Wir, wie auch andere Finnen, erhielten keine Erlaubnis, nach dem Krieg in unser Vaterland zurückzukehren. Ich wurde 1945 eingeladen, in Leningrad zu studieren und lebte dort 6 Jahre in einem Studentenwohnheim, regelmäßig besucht durch die Miliz. Dennoch endete alles gut. Was meine Schwester angeht, so durfte sie niemals nach Leningrad. Meine Cousine, Rosalia Vehvilainen, die in Sosnovyj Bor wohnt, kann bis heute keine Freisprechung erreichen: Das Liteiny-Haus Nummer 4 [KGB-Gebäude in der Liteiny-Straße] antwortet ihr nicht. Sie möchte lediglich den Stempel "Volksfeind" los werden, weiter nichts. Dennoch denke ich, dass dieses Blatt Papier keine Bedeutung hat. Jene Leute, deren Standpunkt grausam ist, werden sich nicht durch irgendwelche Papiere überzeugen lassen. Die Haltung zu unserer Nationalität hat sich nicht geändert. Gute Menschen sind zu jedem gut, aber die Neider sind bereit, einem eine Grube zu graben, wenn sich nur eine Gelegenheit dazu bietet. [Die Ingermanländer (in Russisch und Finnisch). Inkerin Liitto: Sankt-Peterburg, 1997, Nr. 2, 40-41]
2 Ich bin VERA OLLIKAINEN, Tochter eines "Kulaks". Unsere Familie stammt von Vuolijarvi. Meine Eltern und ich gerieten in die erste Selektion. Wir erhielten plötzlich am Abend des 15. Februar 1931, einem Sonntag, Besuch. Ich kann mir den Schrecken meiner Eltern nur vorstellen, weil ich zu diesem Zeitpunkt in einem in der Nähe gelegenen Verein war (ich war 11 Jahre alt). Ich wurde von dort gerufen. Ich erinnere mich nicht, wie viele sie waren, ich kann mir nur einen Mann mit einem grauen Überzieher ins Gedächtnis zurückrufen. Mutter ging abwechselnd hinaus und hinein in unserem Bauernhaus, und verschnürte Säcke. Ich begann, meine Schulsachen zusammen zu sammeln. Ich erinnere mich nicht genau an meinen Vati, ob er sich rührte. Es scheint mir jetzt, er saß an einem Tisch. Nachher wurden wir in einen Schlitten gesetzt und zu einer Eisenbahnstation gebracht. Ich erinnere mich an unser Haus, das wir zurückließen mit brennendem Licht, das von innen durch die Fenster glänzte. Nachts gerieten wir in einen Viehwaggon mit hölzernen Bettgestellen. Ich erinnere mich, wie meine Mutter sagte: "Gut, dass Lisa (meine jüngere Schwester) gestorben und dieses nicht erleben muss". Von Zeit zu Zeit klirrten die Türen und wir alle, Männer, Frauen, Kinder, wurden hinausgelassen um unsere natürlichen Bedürfnisse zu erledigen. Am 21. Februar in völliger Dunkelheit, gelangten wir an eine riesige, ausgegrabene Parzelle unterhalb der Berge. Nach der sanitären Behandlung und dem Rasieren der Köpfe der Kinder wurden wir zu dem hohen Gebirgsabhang geführt, wo Zelte vorbereitet worden waren. Unser Zelt war Nr. 4. Dieses war der Anfang einer neuen Stadt, Chibinogorsk [im weiten Norden]. Vati ertrug diese harten Bedingungen nicht und kam bald ins Krankenhaus. Alle schulpflichtigen Kinder wurden für eine Überprüfung gesammelt. Wir besuchten diesen Winter die Schule nicht, weil wir nicht russisch sprachen. Im darauf folgenden Jahr wurde eine finnische Schule eröffnet und ich musste wieder mit der vierten Klasse beginnen. Starke Männer wurden organisiert, um Wohnungen zu errichten. Das waren Plattenbaracken. Tahvo Jurkijainen, unser Zelt-Nachbar aus dem Dorf Katumaa, war für das Bauen verantwortlich. Er versprach meinen Eltern, dass wir auch einen Raum in einer Baracke erhalten sollten. Als es soweit war, erhielten wir keinen separaten Raum wegen einer neuen Familie Vainonen aus Tosno. Sie bestachen dieses Jurkijainen, aber wir wurden in einen gemeinsamen Raum zusammen mit Maria Sarkkinen aus dem Dorf Roskaja einquartiert. Sie hatte drei Kinder (es gab auch ein viertes, schon erwachsen, aber dieser verschwand bald). Der letzte Ehemann Marias kam von der Bucht Nechaevo, aber er starb bald. Der Raum betrug 4 m in der Länge und 3 m in der Breite. Es gab einen Ofen auf unserer Seite. Meine Eltern schliefen auf einem hölzernen Gestell, aber ich auf zwei Sperrholzkästen, die bei Tag aufeinander gestellt wurden, auf diese Weise ergab das einen Tisch. Ich besuchte die 4.te bis 7.te Klasse der finnischen Schule und die 8.te bis 10.te Klasse der russischen Schule, als wir dort in der Bolotnaja-Str. 18, Wohnung 4, wohnten. Ich sehe meine Mutter vor mir, wie sie nach der Arbeit Gerste oder französischen Rübenbrei in einer Aluminiumpfanne kocht. Wenn ich nach der Schule nach Hause kam, bestreute ich Brot mit Zucker und aß es mit einem teeartigem Getränk oder heißem Wasser. Ich erinnere mich nicht, Hunger gelitten zu haben (diese Erfahrung machte ich erst während des Krieges), dennoch träumte ich, in der Lage zu sein, dreimal am Tag essen zu können, als ich Student war. Selbstverständlich hatte ich Geschwüre auf meinen Fingern wegen der unzureichenden Nahrung, einige Nägel gingen mehrmals ab. Später kam die (Begleitschwellung bei) Mandelentzündung jeden Winter. Es gab keine Milch weder während der Zwangsverschickung noch Studentenzeit. Schließlich wurde die Milch benötigt, um meine eigenen Kinder zu ernähren, so dass ich sie selbst nur in den letzten Jahrzehnten trinken kann. In der Schule, ob finnische oder russische, war ich immer unter den ersten Schülern. Aber nachdem ich 1938 mein Gesuch beim Institut für Fremdsprachen in Leningrad eingereicht hatte, erhielt ich eine negative Antwort. Dennoch wurde ich mit Hilfe des Direktors meiner Schule und der Fürbitte des Abgeordneten des lokalen Sowjets zu den Aufnahmeprüfungen zugelassen. Es gab dann 8 Prüfungen. Einmal demonstrierte der Prüfer mein Testbuch denen, die schwach waren, und zeigte, wie man durch Prüfungen gehen muss. Daher war ich sehr überrascht, als ich offiziell informiert wurde, dass ich den Wettbewerb nicht geschafft hatte. Ich musste auf mein Testbuch Bezug nehmen. Dann sagte der Vorsitzende hart: "Ziehen Sie in Erwägung, dass wir noch genügend Kinder der ehrlichen Kolchos-Landwirte haben". Diese Worte fielen, nachdem die Behörden offiziell erklärt hatten, dass "die Kinder nicht für ihren Vater verantwortlich sind". Ich war verantwortlich. Auf meinem Rückweg zum Ort der Zwangsverschickung bog ich zufällig nach Petrosawodsk ein, wo ich nach dem Vorzeigen meines Testbuches sofort zur örtlichen Universität zugelassen wurde. Ich musste nur Chibinogorsk besuchen und den Eintrittsvermerk vorzeigen, um einen Pass zu erhalten. Es war Petrosawodsk, wo ich mein ganzes weiteres Leben verbrachte (ausgenommen die Zeit in Sibirien während des Krieges und das Abschließen der Universität in Syktyvkar). 8 Jahre lang war ich Zeitungskorrespondentin vor der späteren Studentenschaft mit Graduierung in Moskau. Danach stellte man mich ein als wissenschaftliche Assistentin am Institut für Sprache, Literatur und Geschichte in der karelischen Abteilung der Akademie der Wissenschaften der UdSSR. 1988 ging ich in Pension. Meine Eltern blieben in Chibinogorsk. Vati hatte einige Zeit einen Job als Kutscher und Nachtwächter, während Mama verschiedene Schwarzarbeiten ausführte. Vor Beginn des Krieges wurden sie in die Region Pudost in Karelien gebracht, aber später schienen sie auch dort zu gefährlich und man sandte sie in die Region von Archangelsk. Hatte mein Vater schon vorher zur Unfähigkeitsgruppe gehört, so starb er 1942. Mutter konnte seine sterblichen Reste nicht in der Erde begraben, niemand konnte ihr helfen. Ein Invalide brachte einen Sarg zu einem Friedhof im Februarfrost und sie beide begruben ihn zusammen im Schnee. Mutter wurde zurück nach Karelien, zur Station Letnij, genommen, von wo mir erlaubt wurde, sie nach Petrosawodsk zu holen. Dort gab man ihr einen Pass. Sie starb 1961. Selbstverständlich machte die Zwangsverschickung das Leben meiner Eltern zu einer vollständigen Leidensgeschichte. Es gab niemanden, bei dem man sich beklagen konnte. Mein Vater schwieg sein ganzes Leben. Mutter genoss eine gute Gesundheit. Sie träumte immer, unsere Heimat zu besuchen. Dieser Traum ließ sich nie verwirklichen. Auch mir gelang es nicht, den Hof meiner Kindheit zu sehen. Nach dem Tod meiner Mutter machte ich mich mit meinen Kindern zusammen dorthin auf den Weg. Wir verbrachten eine Nacht in Matoksa [siehe Landkarte ] und schafften am nächsten Morgen eine Überfahrt bis vor mein Vuolijarvi. Dort wurden wir durch Waldschützen gestoppt, welche uns zur Umkehr zwangen. Aus der Ferne hatten wir nur Zeit, einen Blick auf ein graues Haus zu werfen, das einsam mitten im Dorf zu sehen war. Plötzlich platzte der Regen in Strömen hernieder, so heftig, wie ich es früher niemals erlebt hatte, aber er hörte genauso plötzlich wieder auf. Nachher beleuchtete die hellste Sonne die gesamte Umgebung. Das Gedächtnis eines Kindes hält nicht viele negative Dinge fest. Dennoch hat die Deportation nichts außer Spuren harter, emotionaler Erfahrung in meiner Erinnerung hinterlassen. Ich werde niemals meine Tränen vergessen, als ich nicht zu dem Studium zugelassen wurde, das ich wünschte und was mir mit meinen Testbuch als Studium zustand: Ich weinte den ganzen Weg von Leningrad nach Petrosawodsk, als ich auf einem Seitensitz nahe der Zugtoilette kniete. Sogar am Zielort der Zwangsverschickung litt ich, wegen des Fehlens einer separaten Wohnung, in Beschlag genommen von anderen Leuten. Man kann sich vorstellen, wie mein Schlaf aussah, auf Kästen neben der stinkenden Plane meines Vaters, als er als Nachtwächter beschäftigt war. Ich nahm mir meine armselige Kleidung zu Herzen, was ein Resultat unseres kargen Einkommens war. Als ich bei einer Zeitung angestellt war, wurde ich einmal zum Chefredakteur eingeladen, der wie zur Entschuldigung sagte, er könne mich trotz meiner hochqualifizierten Ausbildung nicht zur Abteilungsleiterin ernennen, weil er dafür nicht die Verantwortung übernehmen wolle. Zu jener Zeit gab es nur 2 Personen mit höherer Ausbildung im Redaktionsausschuss. Eine von ihnen war ich, die andere war Abteilungsleiter bei der Information. Diese Worte klangen mir komisch, weil ich nie vorgab, Abteilungsleiterin zu sein, da ich meinen Platz im Organ des lokalen Zentralausschusses der bolschewikischen Partei kannte. Manchmal machte mein eigener Ehemann Andeutungen wegen meinem "Kulak"-Ursprung. So war mein ganzes Leben das einer zweitrangigen Person. Der Prozess der Entlastung schien extrem hart zu sein. Ich begann damit im Februar 1994, als ich meine Geburtsurkunde und die Sterbeurkunde meines Vaters erhielt. Zweimal musste ich als Zivilkläger sowie als Zeuge bei Gericht erscheinen. Es sieht so aus, als sei das Ende in Sicht, da ich bereits über eine positive Indikation bezüglich der finanziellen Erstattung für das Eigentum, welches bei meinen Eltern konfisziert wurde, informiert worden bin. Diese Summe ist so gering, dass sie als symbolisch angesehen werden kann. Aber sogar dieses ist für eine alte Pensionärin wichtig. [Die Ingermanländer, 1997, Nr. 2, 39-40] |